Der Umstieg auf das Flaggschiff-Produkt von SAP – S/4HANA – muss in absehbarer Zeit erfolgen. Andernfalls stehen Unternehmen ohne Support und mit einem veralteten System da. Dennoch scheut die breite Masse der Unternehmen das Thema Migration nach wie vor. Speziell im Mittelstand herrscht weitgehend Zurückhaltung. Wie können die Migrationshürden gemeistert werden?
Fragt man IT-Entscheider nach dem Status ihrer SAP-Systeme, erlebt man häufig Zähneknirschen. Die von SAP selbst gesetzte Frist bis Dezember 2027 ist bekannt, doch nur wenige Early Adopter sind bereits auf S/4HANA umgestiegen. Der Großteil der Unternehmen beginnt erst sehr zögerlich, sich dem Thema zu widmen. Somit stellt sich die Frage: Woran genau liegt das? Ist es die Unsicherheit durch den Ukraine-Krieg oder die Energiepreise, die Investitionen zurückhält?
Sicher, ein Teil des Mittelstands würde dies sicherlich bejahen. Doch es sind nicht nur die externen Faktoren, sondern auch die Investitionskosten selbst, die aufgrund des mangelnden Verständnisses für die Vorteile der Lösung abschreckend wirken. Denn neben Einmalkosten für das Projekt steigen auch die laufenden Kosten für die Nutzung von S/4HANA. Hinzu kommt, dass ein Migrationsprojekt für eines der zentralsten Systeme in vielen Unternehmen hohe Verunsicherung erzeugt.
Was, wenn die Umstellung scheitert? Und wie sieht der für mein Unternehmen ideale Migrationsansatz überhaupt aus? Ganz zu schweigen von der Frage, wie das künftige Betriebsmodell gestaltet werden soll: On-Premise oder Cloud? Und mit Blick auf Letzteres: in der SAP S/4HANA Public oder Private Cloud oder doch direkt bei einem der Hyperscaler?
Wer auf all diese Fragestellungen eine einfache Antwort erwartet, der wird leider enttäuscht. Denn jeder Migrationsansatz ist so individuell wie das Unternehmen selbst. Dennoch gibt es bewährte Methoden, die einen erfolgreichen Umstieg garantieren. Zunächst ist der Blick auf den Ist-Zustand und die Definition eines Ziel-Zustands entscheidend. Ersteres umfasst die Evaluierung des aktuellen Systems, der Daten sowie der Geschäftsprozesse, auf die diese Daten Einfluss haben.
Zudem müssen aktuelle Lizenz- und Wartungskosten in die Bewertung einfließen, ebenso wie bestehende Herausforderungen der Anwender. Mit Blick auf die Anwendungen gilt es zu klären, wie existierende SAP-Module und die entsprechenden Prozesse mit dem jeweiligen S/4HANA-Ziel-Release kompatibel sind und welche Einsatzoptionen es gibt.
Im zweiten Schritt wird der Ziel-Zustand analysiert. Hierbei gilt es, Anforderungen der Endnutzer, aber auch von weiteren Stakeholdern wie Abteilungsleitern zu sammeln, damit darauf basierend die Vorteile der neuen Lösung qualifiziert werden können. Ausgewählte SAP-Systemhäuser bieten hier eine Durchführung von Vorstudien an, die alle Aspekte der Transition (technische Machbarkeitsstudie, Beratung zu funktionalen Erweiterungen unter S/4, Prozessanalyse, Betriebsmodelle) beinhalten und diese für eine Entscheidungsgrundlage aufbereiten.
Nur so lässt sich ein fundierter Business Case konzipieren. Und dieser ist dringend geboten, wenn man die gängigen Pain Points bei der S/4HANA-Migration im Mittelstand betrachtet.
Pain Point 1: Brown-, Blue- oder doch Greenfield?
Viele Kunden wollen mit der Umstellung auf S/4HANA gleich den großen Wurf erreichen. Für eine Greenfield-Umstellung (also den kompletten Neuanfang möglichst nah am SAP-Standard) fehlt es jedoch an internen Ressourcen und die Bluefield-Umstellung (bei der nur ausgewählte Daten und Strukturen in das neue System überführt werden) ist oftmals mit erheblichen Kosten verbunden.
Um den richtigen Migrationsansatz zu finden, dürfen hier nicht nur technologische Aspekte betrachtet werden, auch organisatorische Parameter sind zu berücksichtigen. Speziell für kleinere Mittelständler mit wenig Individualisierung im bisherigen SAP-System ist der Brownfield-Ansatz vielfach zu empfehlen.
Dabei wird das bestehende ECC-System nahezu unverändert technisch umgezogen. Optimierungspotentiale, die S/4HANA ermöglicht, werden erst später gehoben. Die Ressourcenbelastung auf Unternehmensseite bleibt dabei so gering wie möglich. Gerade Mittelständler sollten hier Ausschau halten nach standardisierten Best-Practice-Lösungen – im Idealfall nach solchen, die durch SAP selbst offiziell qualifiziert wurden. Im Nachgang können Optimierungen dann Schritt für Schritt angegangen werden.
Dieser Weg sorgt nicht nur für stabilere Betriebsprozesse in der Transitionsphase, sondern hat auch noch einen weiteren Vorteil: Die Umstellung wird nicht fälschlicherweise als einmaliger Schritt verstanden, sondern als das, was es wirklich ist: ein stetiger Prozess der ständigen Optimierung von Systemlandschaften, Schnittstellen und Prozessen.
Pain Point 2: Betriebsmodell und Kosten
Die Art und Weise, wie die SAP-Systeme künftig betrieben werden sollen, variiert stark – auch im Mittelstand. Von Unternehmen, die aus Datenschutzbedenken und Sorgen um Firmeninterna und Abhängigkeiten an einer On-Premise-Umgebung festhalten, bis zu Cloud-First-Enthusiasten, die den Neustart in der Cloud bevorzugen, ist alles dabei. Vorweg sei gesagt, dass es hier keine „richtige“ Lösung gibt.
Trotz der Tatsache, dass SAP den Weg in die Cloud mit „RISE with SAP“ klar favorisiert, ist es nicht ausgemacht, dass ein Cloud-Modell für jedes Unternehmen am geeignetsten ist. Aus strategischer Sicht ist die Cloud-basierte Business Suite der On-Premise-Version von S/4HANA natürlich vorzuziehen, doch sie verursacht teilweise Mehrkosten, denen derzeit noch zu wenig Vorteile gegenüberstehen. Daher bleibt die Frage: Stehen die Kosten im Einklang mit den Mehrwerten? Und wird sich SAP im Austausch mit Kunden und Partnern hinsichtlich der Preisstrukturen bewegen?
Pain Point 3: Die Ressourcenfrage
SAP-Migrationsprojekte werden heute fast ausschließlich mit Implementierungspartnern vollzogen. Zu groß ist die Angst, mit Fehlern, die in neuen Projekten gemacht werden, für die kommenden Jahre und Jahrzehnte leben zu müssen. Dass diese Angst begründet ist, zeigen die gut dokumentierten Probleme vieler Unternehmen nach der Einführung von R3 vor nun knapp 20 Jahren. Die Erfahrung im Umgang mit SAP, nicht nur mit Blick auf die Technologie, sondern etwa auch im Bereich Lizenzmanagement, ist also entscheidend. Doch die Zahl der spezialisierten Partner ist begrenzt, und gerade große Integrationspartner sind in der Regel nicht auf den Mittelstand fokussiert, beziehungsweise nehmen entsprechend kleinvolumige Aufträge gar nicht erst an.
Der Markt für SAP-Berater ist damit sehr angespannt: Mehrere zehntausend Umstellungsprojekte stehen an und wer sich nicht zeitnah um einen entsprechenden Partner bemüht, dem wird in ein paar Jahren nicht nur der Support durch SAP für das bisherige System verwehrt, sondern auch die Migration in die Zukunft.
Für viele mittelständische Kunden wird der Brownfield-Ansatz allein schon aus Ressourcen- und Zeitgründen die einzig mögliche Alternative werden. Unternehmen sollten sich daher schnellstmöglich einen geeigneten Partner suchen, auch weil speziell nach Brownfield- oder Bluefield-Migrationen die Transition in der Regel nicht abgeschlossen ist. Oft werden weiterhin alte ECC-Lösungen (zum Beispiel CS oder WM) unter S/4HANA genutzt. Deren Wartung endet 2030, was eine Implementierung von Nachfolgelösungen unumgänglich macht.
Florian Hasreiter ist Head of Project Management bei der Applied International Informatics GmbH, einem Unternehmen der Atos-Gruppe.
Autor: Rainer Huttenloher